Petra Eisele

Petra Eisele auf dem Toggenburger Höhenweg.

Petra Eisele (32) hat einen besonderen Zugang zur Natur: Als Molekularbiologin spürt sie menschlichen Stoffwechselkrankheiten nach. Seit 2007 lebt die Stuttgarterin in der Schweiz. Studium, Postdoc und Wissenschaft führten sie von Konstanz über Zürich nach Basel, wo sie seit zwei Jahren wohnt. Petras Hobbys sind Wandern und Velofahren und «im Sommer im Rhein baden».


Mein Fazit

«Auf dem Höhenweg lernt man das Toggenburg kennen, ohne sich zu überanstrengen. Die wunderschöne Talsicht ist ein Genuss, ebenso der Weitblick auf den Alpstein, die Churfirsten und sogar die Glarner Alpen.

Der Weg führt mehrheitlich über Alpen. Das Bimmeln der Kuhglocken ist steter Begleiter. Für Pausen bieten sich gemütliche Alphütten an. Den Kontakt zu den Gastgebern, die meist auch Bauern sind, fand ich besonders spannend: Ich lernte viel über die Kulturlandschaft und die Menschen des Toggenburgs.

Den Höhenweg empfehle ich Familien mit Kindern – insbesondere die erste Etappe, denn der Klangweg ist gut erreichbar und technisch einfach. Die Wanderung ab Wildhaus bietet Kindern Spiel, Spass und Spannung und das Übernachten in der Alphütte, wo man von der Sonne geweckt und beim Frühstück von den Kühen begrüsst wird, ist ein lässiges Abenteuer.»

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Mit Petra Eisele auf dem Toggenburger Höhenweg

Ein Erlebnisbericht!

Toggenburger Höhenweg in Kürze: Wanderung (regionale Wanderroute Nr. 48), 6 Tage, 5 Nächte , 87 km, 4'600 Höhenmeter, von Wildhaus bis Wil. Wanderung kann auch abgekürzt werden. Bahnen und Wanderwege führen immer wieder runter ins Tal. Petra Eisele wanderte die ersten zwei Etappen. Die Tour ist buchbar über Swiss Trails GmbH mit Reiseunterlagen und Kartenmaterial. Siehe Buchungslink am Ende des Artikels.

1. Tag: Hörüberraschungen

Der Toggenburger Klangwegwww.toggenburg.org/de/region/wegwisser-toggenburg hat drei Abschnitte. Ich wandere die Etappe von Oberdorf bis zur Alp Sellamatt mehrheitlich auf begehbaren und teils barrierefreien Kieswegen. An 26 Klanginstallationen kann ich mit Holz, Stein und Metall unterschiedliche Geräusche erzeugen wie ein sanftes Rascheln von Kieseln in einer sich drehenden Tonmühle oder den Gong langer Messingröhren. Eine kurze Beschreibung erklärt den Hintergrund der Töne. Besonders Kindern macht der interaktive Weg Spass: Sie dürfen kurbeln, treten, blasen, so dass es knattert, surrt oder heult.

Klangweg im Toggenburg.

 

Jam-Session am Fels

Ferdinand Rauber ist Naturtonmusiker. Er begleitet uns ein Stück auf dem Klangweg und stellt uns seine Installation «Felsentöne» vor, hinter der sich mehrere Instrumente verbergen. In einen Felsvorsprung am Wegrand hat er gut sichtbar mehrere Löcher bohren lassen. Indem er mit der hohlen Hand draufschlägt, fängt die Luft zu schwingen an und tönt – wie Trommeln bei einer Jam-Session. Der Fels beherbergt zudem zwei Steindidgeridoos. Ferdis Spiel ist weithin hörbar und lockt sogleich ein paar Familien an. Meine eigenen Versuche sind weniger professionell, ein Brummen kann ich dem Fels immerhin entlocken. Das Geheimnis liegt im Ansatz: mit vibrierenden Lippen ein prustendes Pferd imitieren. Der dritte Felsenton ist besonders eindrücklich: In ein tellergrosses Loch stecke ich meinen Kopf und gebe verschiedene Töne von mir. Das Summen bleibt leise, ausser bei einer ganz bestimmten Frequenz, bei der der Ton enorm verstärkt wird. Nie hätte ich gedacht, dass man mit Stein so viele verschiedene Töne erzeugen kann.

 

Wegwisser

Zu WegWisser Toni Grob, der mich mit seinem Hund Salix am ersten Tag begleitet, finde ich schnell den Draht: Er erzählt mir von der Toggenburger Geschichte, weist mich auf Steinadler hin und hält mit vielen Menschen, deren Weg er kreuzt, einen kleinen Schwatz. Schön, so unkompliziert mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen, danke, Toni! Auf den Toggenburger Wanderwegen sind sechs Wegwisser unterwegs, gut erkennbar an ihren blauen Info-T-Shirts. Sie dienen als mobile Touristeninformation und teilen ihre Heimatliebe und ihr regionales Wissen mit all jenen, die ein offenes Ohr mitbringen.

Mythische Wesen

Auf dem Sagenweg wandere ich über die weitläufige Alp Sellamatt, hinter der die Churfirsten wild gezackt in den Himmel ragen. Wie entstanden eigentlich diese markanten Berge? Einst versetzte ein Drache die Toggenburger in Angst und Schrecken. Im Schatten des Säntis suchten sie Schutz und weckten dabei den Säntisriesen. Ein Gnom, der mit ihnen aus dem Wildmannlisloch geflohen war, überreichte dem Riesen ein geheimnisvolles Schwert und verriet ihm die verwundbare Stelle des Drachen: seinen Hals. Als der Drache seinen nächsten Durst im Walensee stillte, schlug ihm der Riese den Kopf ab. Der Körper versteinerte und bildet seither die Churfirstenkette.

Dunkle Höhlen und wilde Männer

Im Wildmannlisloch, einer Karsthöhle in der Flanke des Selun, lebten einst Urzeitmenschen. Der letzte offizielle Bewohner war Johannes Seluner, eine Art Toggenburger Kaspar Hauser. Die Existenz des wilden Mannes wurde 1844 bemerkt: Weil eine Kuh keine Milch mehr gab, legte sich der Senn auf die Lauer und beobachtete, wie eine haarige Gestalt die Milch direkt vom Euter trank und danach in der Höhle verschwand. Der verwilderte Jüngling landete im Armenhaus, wo er 1898 im Alter von ungefähr 70 Jahren starb. Ich selbst kann im Wildmannlisloch höchstens den Schatten einer (wilden?) Frau erkennen. Dafür bin ich um meine neuen Schuhe froh: Sie geben den nötigen Halt auf den glitschigen Steinen.

Beim Wildmannlisloch.

Rauch(freie) Zone

Das Toggenburg ist eine Karstlandschaft: Das Kalkgestein verwittert, weil sich Kohlendioxid aus der Luft und das Regenwasser zu Kohlensäure verbindet, die den Kalk angreift. Im Boden entstehen mehrere hundert Meter tiefe Löcher, sogenannte Dolinen. Auf den Toggenburger Alpen gibt es Dutzende davon, zum Beispiel das Rauchloch auf der Alp Sellamatt. Toni zeigt mir das Loch, das mir schwarz entgegen gähnt und dessen Tiefe ich nicht abschätzen kann. Ein Stein hilft: Sekunden dauert es, bis ich den Aufschlag höre. Hier unten herrscht eine konstante Temperatur um 8 Grad Celsius, weshalb im Winter regelmässig Wasserdampf aufsteigt – daher der Name. Jetzt im Sommer ist das Loch allerdings Nichtraucher.

Warum eine Kuh 5/4 sind

Gleich vorne weg: Das Thema ist kompliziert. So kompliziert, dass ich es mir von mehreren Leuten erklären lassen musste. Alle vom Fach, selbstverständlich. Es geht um das Weiderecht. Da der Alpboden gemeinschaftlich genutzt wird und die Ressourcen beschränkt sind, muss klar definiert sein, welcher Bauer wie viele Tiere stellen darf. So weit so gut. Nun fressen Kühe unterschiedlichen Alters aber unterschiedlich viel Gras – und jetzt wird es kompliziert, denn nun kommen die «Chlöbe» ins Spiel. Ein Chlöbe entspricht dem Viertel eines Weiderechts. Für eine Kuh (die viel frisst) benötigt der Bauer fünf Chlöbe (also 5/4 Weiderechte), für ein Kalb (das naturgemäss weniger frisst), hingegen nur drei Chlöbe (also ¾ Weiderechte). Diese Rechnung gilt aber nur für die Alp Sellamatt, die benachbarte Alp Selun wird doppelt bestossen, der Bauer braucht also mehr Chlöbe, nämlich 8/4 für eine Kuh. Alles klar? Ja? Dann machen wir den Test: Drei Kühe auf Selun benötigen gleich viel Chlöbe wie eine Kuh, vier Rinder und ein Kalb auf Sellamatt – wie viel Chlöbe braucht also ein Rind?

Ochsenhütte

Die Ochsenhütte liegt direkt am Toggenburger Höhenweg.Mein Tagesziel ist die Ochsenhütte (1677 m), eine von 16 Hütten auf der Alp Selun. In erster Linie ist es ein landwirtschaftlicher Betrieb mit 42 Rindern. Familie Baumgartner betreibt das Bergrestaurant «zum Ochsen», wo mir ein herzhaftes Abendessen serviert wird. Auf der Terrasse kann ich den rot glühenden Himmel beim Sonnenuntergang über einer schwarzen Bergsilhouette beobachten – ein magischer Moment! Nun wird es schnell kühl, da ist mein Fleece von Arc´teryx mit kuscheliger Kapuze genau richtig. Da der Massenschlag über dem Stall unbeheizt ist, behalte ich es die ganze Nacht an. Geweckt werde ich vom Bimmeln der Kuhglocken. Zu mehr als einer Katzenwäsche – das Wasser kommt direkt von einer nahen und kalten Quelle – kann ich mich nicht durchringen. Mein Merino-Shirt von Ibex bewahrt mich (und vor allem die anderen Wanderer) aber vor unangenehmen Gerüchen. Angenehm zu tragen ist es natürlich auch. Hier ein grosses Dankesschön an Transa für die tolle Ausrüstung! Um halb neun bin ich parat für die zweite Etappe. Meinen Abschied muss ich allerdings um einige Minuten verschieben: Im Radio werden gerade die Zwischenergebnisse vom Schwägalp-Schwinget durchgesagt und die Aufmerksamtkeit der Baumgartners gilt ganz dem Sport. Es dürfte sie gefreut haben: Die Generalprobe vor dem Eidgenössischen gewinnt Lokalmatador Nöldi Forrer.

 

2. Tag: Alp Arsch (ja, die heisst so)

Zwischen Starkenbach und Amden liegt ein Höhenzug, der von jeher «Arsch» genannt wurde. Im Zug einer Bestandsaufnahme der Ortsbezeichnungen wurde der Name amtlich – das missfiel den Kartographen. So wurde der Bergrücken kurzerhand umgetauft in «Säss», unverfänglich, weniger ordinär, aber irgendwie trotzdem mit der gleichen Bedeutung. Allerdings existiert ein Ort gleichen Namens bereits im Tal und die Offiziellen hatten die Rechnung ohne den Bauern auf der Alp gemacht: Arsch-Willi wollte seinen Spitznamen partout nicht aufgeben. «Seit 30 Jahren nennt man mich so!» Erfolgreich wehrte er sich gegen die Änderung. Und so heisst dieses Fleckchen Erde heute wieder so, wie es schon immer heiss: Arsch.

Wegweiser zur Alp Arsch.

Über-Tritt

Der Tritt ist der höchste Punkt meiner Wanderung (1770 m). Der Bergweg ist immer wieder mit Handläufen gesichert, da man an felsigen Vorsprüngen hinauf oder hinunter klettern muss. Gefährlich ist es zwar nie, aber meine Wanderschuhe leisten gute Dienste in Sachen Trittsicherheit. Dies gilt besonders für das zerfurchte Gestein der sogenannten Karrenfelder, die sich hier ausbreiten. Eine weitere Gesteinsformation begegnet mir am Leist: Ein gewaltiger weisser Abbruch, dessen Schichten abstrakte Strukturen formen. Obwohl ich nun fast schon zwei Tage unterwegs bin, fühlt sich mein Rücken immer noch gut an. Der Osprey-Rucksack von Transa hat sich bewährt. Durch das Netzteil am Rücken schwitze ich nicht so sehr und in den Seitennetzen ist genug Platz für die Trinkflasche, eine Portion Nüssli und die Hosenbeine, die ich mittlerweile abgenommen habe. Deshalb komme ich auch nicht dazu, die Regenjacke auszuprobieren. Aber dafür wiegt sie im Rucksack auch fast nichts und nimmt kaum Platz weg – genau so wie es bei einer Sommerwanderung sein soll!


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